Dissoziation – Was ist das?

Das Gehirn verfügt über eine Reihe von Anpassungsmöglichkeiten angesichts einer Bedrohung. Wenn ein Mensch eine Situation als überwältigend wahrnimmt, weil er keinerlei Möglichkeit sieht, zu kämpfen oder zu fliehen, wählt das Gehirn häufig die Dissoziation.
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Sie stellt in gewisser Weise eine sehr primitive Reaktion dar, die frühe Lebensformen nutzten, da sie gewöhnlich nicht aus eigener Kraft entkommen konnten. So blieb ihnen nur die Möglichkeit, sich zusammenzurollen, so klein wie möglich zu machen, um Hilfe zu rufen und auf ein Wunder zu warten.
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Und so wählen auch Säuglinge bzw. Kleinkinder, wenn Flucht und Kampf keine Alternative darstellen, diese Möglichkeit als Reaktion auf extremen Stress.
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Aber welchen Sinn hat eine Dissoziation
in extremen Stresssituationen?
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Nun, bei einer Dissoziation bereitet das Gehirn den Körper auf eine Verwundung vor. Der Blutfluss wird reduziert und das Herz schlägt langsamer, um den Blutverlust durch Wunden so niedrig wie möglich zu halten.
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Und: Es wird eine große Menge an körpereigenen Opioiden ausgeschüttet, natürliche, dem Heroin ähnliche Substanzen, die die Schmerzen verringern und ein Gefühl von Ruhe und emotionaler Distanz zum Geschehen herstellen.
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Sie erlaubt also einem Soldaten zum Beispiel wie ein Roboter zu funktionieren,
ohne dabei Panik oder Schmerz zu empfinden.
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Dissoziation kann dabei unterschiedlich stark auftreten. So gibt es Zustände, die an Tagträumen, Meditation oder die Übergänge zwischen Schlaf und Trance erinnern. Dabei werden einfach Dinge ausgeblendet, die du nicht sehen oder wahrnehmen möchtest, weil du sie als überfordernd oder bedrohlich erlebst. Du willst dich gewissermaßen für eine gewisse Zeit nicht mit bestimmten Fakten auseinandersetzen und schützt dich vor ihnen.
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Man könnte hier auch von der Trance des Abblockens sprechen (siehe hierzu auch das E-Book „Das innere Kind und die Stille“). Bei extremem Stress hingegen koppelt sich der Mensch vollkommen von der Wirklichkeit ab, verschließt sich innerlich bzw. klinkt sich aus. Es entsteht dabei ein Gefühl von Zeitlosigkeit oder als hätte sich die Zeit verlangsamt und als sei jegliches Geschehen vollkommen irreal.
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Die Atmung verlangsamt sich, Schmerz und Angst werden kaum bis gar nicht mehr wahrgenommen. Betroffene berichten auch davon, dass sie sich wie betäubt, gelähmt, fern und abgetrennt von jeglichem Geschehen wahrnehmen, dem sie zusehen als hätten sie nichts damit zu tun.
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Dies mag ganz interessant klingen, wird aber von den gesunden, lebendigen Anteilen eines Menschen gewöhnlich nicht als angenehm empfunden sondern wie ein Zustand des Sich-Getrennt- oder mehr Tot-als-lebendig-Fühlens, dem sie gerne entkommen möchten, aber nicht wissen, wie.
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Andere fühlen sich in der Dissoziation überlegen und nutzen sie, um sich zu profilieren, zu bereichern, sich nie wieder so machtlos, ausgeliefert und klein zu fühlen wie als Kind (Täter-, narzisstische Trance).
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Ein Kind nutzt Dissoziation auch als Anpassungsmechanismus bei gewalttätigen Eltern, „als primäre Technik, um in äußerst brutalen und chaotischen Situationen Bindung aufrechterhalten zu können“ (Hüther 2003, S. 102).
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Dissoziierte Menschen funktionieren – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie mögen dabei viel leisten, sind aber nicht da. Sie fühlen sich nicht und können damit auch ihre Grenzen, wahren Bedürfnisse, die Liebe, die sie wirklich sind, weder fühlen noch ausdrücken.
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Sie sind abgeschnitten von sich und ihrer Umwelt, können weder mitfühlen, noch lieben, sich und ihre Umwelt wirklich genießen. Deshalb ist es für die Partner von dissoziierten Menschen fast unmöglich, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Dies wiederum führt zu Konflikten, Beziehungsdramen und langfristig auch zu Trennungen.
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Dissoziierte Menschen sind heutzutage, meiner Beobachtung gemäß, die Norm. Nur ein dissoziierter, von sich abgetrennter Mensch, bekommt Probleme mit sich selbst, da er von sich abgespalten und damit in einem ständigen inneren Konflikt zwischen seinen gesunden, traumatisierten und Überlebensanteilen lebt.
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Und: Nur ein dissoziierter Mensch kann sexuellen Missbrauch in der eigenen Familie, die Gefahr durch die ständige Aufrüstung oder Umweltprobleme wie das gerade sehr aktuelle Klimaproblem ignorieren oder verharmlosen, die Natur, seine Mitmenschen oder sich selbst ausbeuten.
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Nur dissoziierte Menschen gehen zueinander in Konkurrenz, spielen sich gegeneinander aus oder feinden sich an anstatt zu kooperieren, sich gegenseitig wert zu schätzen, zu lieben und zu unterstützen.
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Kurz: Nur ein dissoziierter Mensch kann Gewalt ausüben und Kriege führen.
Ein gesunder, wacher, in sich ungeteilter Mensch käme niemals auf diese Idee.
Logisch, oder?
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Da Dissoziiertsein etwas sehr Alltägliches ist, sind natürlich auch viele Therapeuten und Psychologen dissoziiert. Und wer dissoziiert ist, sieht nicht, was wirklich abläuft. Er kann die Realität nicht mit seinem ganzen Sein erfassen, sondern nur mit einem sehr begrenzten Kopf.
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So führen Einschätzungen, die aus einer Dissoziation heraus getroffen werden, natürlich häufig auch zu Fehldiagnosen. So, laut Bruce D. Perry, auch bei Jugendlichen, da die Symptome einer Dissoziation an eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung, Hyperaktivität oder Störung des Sozialverhaltens erinnern und da Kinder, die dissoziieren, in der Schule Probleme haben, Inhalte aufzunehmen.
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Sie wirken als ob sie tagträumen bzw. vollständig abwesend sind. Sie können sich auch nicht konzentrieren und haben die Umwelt weitestgehend ausgeblendet.
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Andere wiederum erscheinen überaktiv oder unaufmerksam, da sie ja im Überlebensmodus sind und ihre Aufmerksamkeit auf die Abwehr potentieller Gefahren ausgerichtet ist und nicht auf die entspannte Aufnahme von Unterrichtsstoff. Sie verfolgen deshalb eher die Tonlage des Lehrers oder die Körpersprache ihrer Mitschüler als den Unterricht.
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Aber ein dissoziiertes Kind verweigert sich nicht bewusst dem Unterricht, es ist schlicht und einfach unfähig, im Zustand der Dissoziation Anweisungen nachzukommen oder Informationen entspannt aufzunehmen, da es sich in einer Traumaaktivierung befindet. Sie verfügen dabei häufig auch über kein klares Zeitgefühl, was für sie planen oder pünktlich sein schwierig bis unmöglich macht.
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Dies gilt natürlich auch für traumatisierte Erwachsene, die sich bei ersten Hinweisen auf Stress oder einer Erinnerung an ein Trauma im wahrsten Sinne des Wortes „ausklinken“ und dadurch nicht mehr in der Lage sind, dem, was gerade geschieht, klar wahrzunehmen oder realistisch einzuschätzen. Sie sind im Überlebensmodus.
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Viele Jugendliche nutzen die Dissoziationsreaktion des Körpers auch, um mit inneren Erregungs- und Stresszuständen umzugehen, gewissermaßen als eine Art Selbsthilfestrategie. Sie kneifen, kratzen oder ritzen sich zum Beispiel. Dies führt zur Ausschüttung von endogenen Opioiden im Gehirn und erlaubt ihnen so, einem nahezu unerträglichen Stressniveau zu entkommen, das typisch ist für ein traumatisiertes Nervensystem.
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Sie empfinden also die dissoziativen Reaktionen des Gehirns nicht, wie die meisten Menschen als unangenehm oder sogar lähmend, vielmehr als beruhigend und tröstend.
Allerdings führt eine wiederholte Dissoziation zu einer Sensibilisierung, d. h. kleinste Mengen an Stress lösen immer schneller eine Dissoziation aus, was bei Gefahr sinnvoll sein mag, aber ein Kind ebenso wie einen Erwachsenen im normalen Leben lebensunfähig werden lässt und Beziehungen fast unmöglich macht.
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In anderen Worten: Die Dissoziation ist nur in extremen Bedrohungssituationen sinnvoll und schützt den Körper vor einer Überflutung an emotionalem Schmerz sowie vor dem Verbluten bei Verwundung.
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Im Alltag ist es hingegen hilfreich, andere, bewusstere und gesündere Maßnahmen zur Stressbewältigung zu erlernen. Dazu ist es wesentlich, sich erst einmal dieser Selbsthilfestrategie des „Sich-Ausklinkens“ sowie seiner Auslöser bewusst zu werden, um dann andere Möglichkeiten kennenzulernen, zu erproben und dem Gehirn nahe zu bringen, das die einmal hilfreiche Überlebensstrategie gemeinsam mit dem Trauma als lebenswichtig und -rettend abgespeichert hat und sie bei kleinsten Auslösern sofort aktiviert.
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Man könnte also sagen, die Verarbeitung eines Traumas bedeutet auch das bewusste Erlernen neuer Strategien im Umgang mit Stress.

Quelle: Gabriele Rudolph
(Un)Endlich frei! – Traumata als Tor zur Freiheit, Ottersberg 2021

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